Sensitivity Reading: Die Kraft inklusiver Sprache für Websites
Text: Anna Mendel
Inklusive Sprache ist nicht nur eine Forderung nach politischer Korrektheit, sondern ein bedeutender Schritt in Richtung Chancengleichheit und Respekt. Warum also ist Sensitivity Reading, auch als diskriminierungssensibles Lektorat bekannt, ausgerechnet für Website-Texte ein wichtiges Thema?
Beim genaueren Blick offenbart sich, dass Texte im digitalen Raum nicht nur informativ, prägnant und zielgruppenorientiert sein sollten, sondern auch eine Verantwortung gegenüber potenziell betroffenen Leser:innen tragen. Sensitivity Reading geht über bloße Überprüfung hinaus – es ist eine Möglichkeit, sicherzustellen, dass Website-Texte frei von Diskriminierung sind. In diesem Blogpost werden wir uns eingehend mit der Bedeutung von inklusiver Sprache für das digitale Umfeld auseinandersetzen und warum es mehr als notwendig ist, diese Praxis umzusetzen. Von der Bedeutung sicherer Leseerlebnisse bis hin zu den gesetzlichen Aspekten.
Warum ist Sensitivity Reading für Website-Texte a thing?
Wann immer ich gefragt werde, warum wir Sensitivity Reading brauchen, ist mein erster Impuls zurück zu fragen: “Warum nicht?” Und dann erkläre ich es.
Sensitivity Reading, das man auch als diskriminierungssensibles Lektorat bezeichnet, prüft Texte auf Inhalte, die potentiell diskriminieren, ausschließen oder sich stereotyper Sprache bedienen. Der Fokus des Sensitivity Readings kann auf verschiedenen Gruppen liegen, die unterschiedlichen oder ähnlichen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Diese können verschiedene Rassismen sein, wie zum Beispiel gegen Schwarze Personen, Personen of Color, Personen aus asiatischen Ländern oder auch muslimische Personen. Aber auch andere sogenannte marginalisierte (Def.: an den Rand gedrängt, unwichtig gemacht) Gruppen erleben Diskriminierung. Dazu gehören unter anderem Fatshaming, Transfeindlichkeit oder auch Sexismus.
Die Diskriminierung findet nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern auch auf bildsprachlicher Ebene statt. Die Bilder, die Sprache in unserem Kopf entstehen lässt, sind zum Teil ein Spiegel der Gedanken hinter dieser Sprache. Zu einem noch größeren Teil sind sie jedoch ein Produkt unserer eigenen Strukturen und Sozialisierung. Und die ist voller Diskriminierung, ganz ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Entsprechende Sprache bestätigt uns darin, dass dies okay ist. Inklusive Sprache, die dies umgeht, eröffnet uns die Möglichkeit, Merkmalen von anderen Personen vorurteilsfrei zu begegnen.
Das Sensitivity Reading sorgt also zum einen dafür, dass möglicherweise betroffene Leser:innen ein sicheres und inkludierendes Leseerlebnis haben. Zum anderen gibt es allen anderen die Möglichkeit, Texte zu erleben, die diskriminierungsfrei oder -arm sind, und daraus zu lernen
Wie ausschließende Sprache isoliert und ignoriert
Was auch immer der Grund für das Lesen von Texten ist, wie zum Beispiel Unterhaltung oder Suche nach Informationen, die Leser:innen bringen Erfahrungen und mögliche Diskriminierungen in der Vergangenheit mit. Beleidigende oder ausschließende Sprache triggert diese Erfahrungen und die betroffenen Menschen erleben möglicherweise erneut ein Trauma. Für viele mag das übertrieben oder unwichtig erscheinen. Allerdings spiegelt diese Einstellung auch recht akkurat die Perspektive von vor allem nicht-betroffenen Menschen wider, die sich innerhalb einer sogenannten Norm bewegen. Diese Norm hat sich aus den verschiedenen Machtverhältnissen der letzten Jahrhunderte geformt und dient vor allem dem Erhalt derselben.
Wenden wir diese Erkenntnis und diese gesellschaftliche Sicht auf das Lesen von Texten an, bemerken wir recht schnell, dass die meisten davon aus der Perspektive von nicht-diskriminierten Personen geschrieben sind. Und gleichzeitig auch für diese Personen. Alle anderen werden ausgeschlossen. Und was passiert, wenn wir ausgeschlossen werden? Wir sind und fühlen uns isoliert; wir sind frustriert, dass unsere Meinungen und Gedanken nicht angenommen werden; wir fühlen uns hilflos, weil wir nicht repräsentiert werden.
Warum Sensitivity Reading oft abgelehnt wird
Weil es die Normgesellschaft und ihr Allgemeinwissen hinterfragt.
Je nach Bereich, in dem geprüft, vorgeschlagen und korrigiert wird, werden Basisannahmen wie binäre Geschlechter oder auch historisch gewachsene koloniale Hierarchien in Frage gestellt. Es kann sich anfühlen, als würde an ganzen Weltanschauungen gerüttelt.
In den meisten Fällen habe ich persönlich, aber auch in Erzählungen erfahren, dass vor allem die Personen und Gruppen sich von Sensitivity Reading angegriffen fühlen, die von Diskriminierung profitieren. Dies kann ganz direkt durch Vergleiche oder Bevorzugung passieren, aber auch indirekt durch Privilegien, die sich aus verschiedenen Merkmalen ergeben.
Diskriminierungsfreie Website-Texte, die informieren und inkludieren
Wie wenden wir das Ganze jetzt auf Website-Texte an?
Texte, die uns im Internet durch und zu Inhalten führen, sollen informativ und prägnant sein. Sie sollen im besten Fall auf die Zielgruppe abgestimmt sein. Je nach Zielgruppe können sie auch catchy und humorvoll sein oder doch lieber seriös und traditionell. Natürlich sollen auch alle relevanten Keywords drin sein und dann soll auch noch der Charakter des Produktes oder der dienstleistenden Person oder des Unternehmens durchscheinen. So oder so sitzt eine Person oder ein Team an diesen Texten, um zu informieren, zu optimieren oder sie so zu gestalten, dass wir uns daran erinnern und vielleicht zu einem zweiten Besuch zurückkommen.
Vor allem die Faktoren prägnant und catchy, aber auch humorvoll bergen sehr viele Möglichkeiten, diskriminierende Inhalte unterzubringen. Vereinfachungen helfen unserem Hirn, uns Inhalte besser zu merken. Gleichzeitig neigen wir mit der deutschen Sprache dann dazu, sie zu sehr zu vereinfachen. Und je weniger ausführlich Wörter oder auch Sprichwörter geschrieben werden, desto eher kann Diskrimnierung untergebracht werden. Ein Beispiel wären hier diskriminierende Wörter statt der ausgeschriebenen Beschreibungen oder Begriffe wie “indigene Personen in Nordamerika” oder “Person, die einen Rollstuhl benutzt”. Auch geschlechtsneutrale Sprache gehört dazu. Von Kunden oder Dienstleistern zu sprechen fühlt sich traditionell vielleicht richtig an, aber schließt alle anderen Geschlechter aus. Unsere Gesellschaft und wie wir miteinander reden und wie wir angesprochen werden möchten, verändern sich. Dies mit einem Sensitivity Reading zu verwirklichen, ist daher mehr als zeitgemäß.
Inklusive Sprache als Erfolgsfaktor
Je nach Zielgruppe der Website ist die Anpassung an diskriminierungsarme und inklusive Sprache auch ein Kriterium, das für das Kaufen des Produkts oder für das Beauftragen der dienstleistenden Person spricht. Je persönlicher die Ebene ist, auf der zusammengearbeitet wird, desto wichtiger ist es für Kund:innen und natürlich auch Dienstleistende, dass sie “auf derselben Welle schwimmen”. Die Website ist hier schon ein erster Hinweis auf eventuelle Gemeinsamkeiten. Oder im Gegenteil: wer diskriminierende Sprache auf der Website verwendet, bringt diese vielleicht auch im Gespräch mit mir auf. Oder gegenüber meinen eigenen Kund:innen oder in Texten, die für mich geschrieben werden. Das kann ich selber als Person und als Teil eines Unternehmens, für das Menschlichkeit als Maxime gilt, nicht tolerieren oder unterstützen.
Zuletzt ist auch der gesetzliche Aspekt nicht zu vergessen - denn tatsächlich gibt es einige Redewendungen, die vielen als “nur” unsensibel oder diskriminierend vorkommen, aber per Anzeige verfolgt werden können. Dazu gehören vor allem Begriffe, die zu Hetze auffordern und auch rechten Strömungen zu zuordnen sind.
Herausforderungen des Sensitivity Readings
Wie jedes Lektorat ist Sensitivity Reading nicht nur eine Prüfung, sondern auch ein Vorschlag. Aber auch wie jedes Lektorat wird es angewendet, weil die textende Person nicht alles weiß oder nicht an alles gedacht hat oder eine zweite Perspektive auf die Texte hilft. Natürlich kostet diese Arbeit genauso wie jedes andere Lektorat und ist in meinen Augen oft noch anstrengender. Denn meist sind es betroffene Personen, die sich mit der Diskriminierung besonders gut auskennen und sie deswegen auch schnell und zuverlässig erkennen. Sich täglich damit auseinander zu setzen und die mentale Erschöpfung in Kauf zu nehmen, die das Sensitivity Reading mit sich bringt, muss wie jede andere Arbeit an Texten entsprechend entlohnt werden.
Fazit: Inklusive Sprache als Weg zu einer gerechten und wirkungsvollen Kommunikation
Inklusive Sprache geht über politische Korrektheit hinaus; sie ist ein Schlüssel zu Chancengleichheit und Respekt. Sensitivity Reading, als diskriminierungssensibles Lektorat, sichert nicht nur betroffenen Leser:innen ein sicheres Leseerlebnis, sondern ermöglicht allen, aus diskriminierungsfreien Texten zu lernen.
Die Ablehnung von Sensitivity Reading offenbart den Widerstand gegen das Hinterfragen von Normen und Privilegien. Die Umsetzung inklusiver Sprache in Website-Texten wird zum Erfolgsfaktor.
Die Herausforderungen des Sensitivity Readings erfordern nicht nur Überprüfung, sondern bewusste Anwendung. Sensitivity Reading ist ein Vorschlag zur Veränderung.